Drohnenprogramm-Whistleblowerin„Wie ein Internet der höllischen Dinge“

Lisa Ling war Technikerin im US-Drohnenprogramm. Im Interview spricht sie über die unsichtbare „Kill Cloud“ hinter den Drohnen und wie sich die gleiche Technik im Büroalltag und im Krieg wiederfindet.

Eine Reaper-Drohne auf einer Startbahn
Unter anderem in Afghanistan haben die USA Drohnen eingesetzt. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / StockTrek Images

Max Freitag: Auf Ihrem T-Shirt ist zu lesen: „Weil ich Veteranin bin, bin ich gegen den Krieg.“ Welche Erfahrungen haben Sie beim Militär gemacht?

Lisa Ling: Ich möchte klarstellen, dass ich nie für den Krieg war. Ich wurde zur Sanitäterin, zur Krankenpflegerin und zur chirurgisch-technischen Assistentin ausgebildet. Ich erinnere mich, wie ich jemandem eine Schraube in den Knöchel gesetzt habe und er wieder laufen konnte. Das war ein tolles Gefühl.

Eines Tages kam ich an einigen hochrangigen Soldat*innen vorbei, die vergeblich versuchten, etwas zu drucken. Ich sah, dass ein Komma fehlte. Ich fügte eins hinzu und der Drucker startete. Damals war es mir nicht bewusst, aber das hat meine militärische Laufbahn nachhaltig verändert. Von diesem Moment an kamen Leute mit ihren Computerfragen zu mir. Es hat Spaß gemacht. Ich liebe Technik.

Nach einer Weile gab es weniger medizinische Arbeit und mehr Computerarbeit zu tun. Ich wurde zur Air Force versetzt, um in der Kampfkommunikation zu arbeiten. Dann wurde meine Einheit ins Drohnenprogramm integriert.

Was ich im Drohnenprogramm gesehen habe, zeigte mir, dass das US-Militär keine Kraft des Guten in der Welt ist. Heute bin ich zwar auch kein Kriegsfan, wenn Soldat*innen physisch entsandt werden. Aber ich ziehe den physischen Einsatz definitiv der Drohnenkriegsführung vor. Ich werde nie glauben, dass es in Ordnung ist, per Fernsteuerung in den Krieg zu ziehen.

Portaitfoto von Lisa Ling mit Mütze und mintgrünem Shirt.
Lisa Ling war bis 2012 als Technikerin für das US-Militär tätig.

Max Freitag: Was waren Ihre Aufgaben im Drohnenprogramm?

Lisa Ling: Wenn etwas repariert werden musste, Software und Hardware, habe ich daran gearbeitet. Es gab Computer, Server, Programme und Menschen. Die Cloud ist im Grunde ein Haufen von Computern, Speichern, Daten. Dazu kommen die Flugwerke und Kommunikationsgeräte. All das wuchs, während ich dort war.

So etwas zu regulieren, ist wie der Versuch, das Internet zu regulieren. Die Drohne selbst ist nur ein Peripheriegerät. Genauso wie eine Maus ein Peripheriegerät ist, das mit einem System verbunden ist.

Max Freitag: Sie sprechen sich gegen eine Erzählung aus, die Sie den „Drohnenmythos“ nennen. Was hat es damit auf sich?

Lisa Ling: Als die Drohnen kamen, wurde vor allem von der Obama-Regierung, aber auch von anderen, behauptet, dass ihre Angriffe chirurgisch seien. Dass sie präzise seien. Dass es weniger Kollateralschäden gäbe. Dass sie die Natur des Krieges verändern und Kriege kürzer und sicherer machen würden.

Ich glaube schon, dass all diese Technologien die Art des Krieges verändern. Aber sie verändern nicht den Krieg selbst. Krieg ist immer noch Krieg. In Gaza werden Drohnen eingesetzt und fast 70 Prozent der gebauten Strukturen sind zerstört. Abertausende Menschen wurden getötet.

„Dass der Krieg kürzer wird, ist ein Mythos“

Die für die Drohnen eingesetzte Künstliche Intelligenz zielt auf Familienhäuser, Kinder, Zivilist*innen. Was hat diese Technologie den Palästinenser*innen gebracht? Hat sie die Versprechen der Drohnenmythologie gehalten? Die Vorstellung, dass der Krieg durch den Einsatz von Technologie kürzer und sicherer wird, ist ein absoluter Mythos.

In den USA sind die Menschen von Flugzeugen fasziniert. Sie konzentrieren sich auf die Drohne selbst. Niemand betrachtet das gesamte Netzwerk dahinter, das sozio-technologische Konstrukt oder die personell hochbesetzten Systeme, die die Drohne zum Laufen bringen.

Max Freitag: Sie und der ehemalige Luftwaffentechniker Cian Westmoreland schlagen dafür das Konzept der „Kill Cloud“ vor. Was genau meinen Sie damit?

Lisa Ling: Wir können Cian für den Namen danken. Für das Konzept gab es bisher keine verständliche Beschreibung. Es ist kompliziert. Es ist wie ein Internet der höllischen Dinge, eine Kill Cloud. Wenn man es sich als eine mörderische Cloud vorstellt, ist es verständlicher.

Heutzutage machen wir alles in der Cloud. Wenn wir ein Uber rufen, ist das die Cloud. Wenn wir auf unsere Software zugreifen, etwa auf Azure, das auch von Israel in Palästina eingesetzt wird, dann ist das Cloud-Technologie.

Menschen nutzen sie im Büro, um alltägliche Dinge zu erledigen. Jetzt wird im Grunde dieselbe Technologie auch zum Töten eingesetzt.

Max Freitag: Automatisierung soll menschliche Fehler und Vorurteile vermeiden. Im Kriegskontext ist das entscheidend. Glauben Sie, dass das gelingt?

Lisa Ling: Nein, es verschlimmert die Situation. Die großen Sprachmodelle, die vom US-Militär eingesetzt werden, durchforsten das Internet nach all unseren Daten. Das bedeutet, dass Informationen normaler Menschen für kriegerische Zwecke verwendet werden.

Texttafel mit Text: Schon wieder Databroker Files! Wir lassen nicht locker und enthüllen weitere Akteure. Nur möglich dank deiner Unterstützung. Spende jetzt.

In der Wissenschaft werden Daten strukturiert gesammelt, um jeglichen Bias zu vermeiden. In der Kill Cloud sammeln wir erstmal alle Daten, Eingrenzung und Markierung erfolgen im Nachhinein. Es gibt dieses Gerede vom „Human in the Loop“. Aber keine Anzahl an Menschen könnte jemals die Datenmenge überblicken, die in Zielauswahl-Systemen verwendet wird.

Datenbasierte Tötungen

Die Systeme spucken viele Ziele aus. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass im US-Drohnenangriff vom 29. August 2021 in Afghanistan mit KI experimentiert wurde. Hochrangige Militärs erklärten, es habe sich um einen „gerechten Schlag“ gehandelt. Die anschließende Untersuchung wurde weitgehend von Journalist*innen vor Ort durchgeführt. Es wurde bewiesen, dass es sich nicht um einen gerechten Schlag handelte und dass zehn unschuldige Menschen getötet wurden.

Die Entscheidung wurde wahrscheinlich mit Hilfe von Daten getroffen, von denen einige aus sozialen Netzwerken und dem Internet stammen oder die von Datenmaklern verkauft wurden. Offensichtlich spiegeln viele der gesammelten Daten Vorurteile wider.

Max Freitag: OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, arbeitet jetzt mit dem Militärdienstleister Anduril zusammen, um „defensive“ Drohnentechnologie zu entwickeln. Könnte es sein, dass ich eines Tages einen Chat-Bot nutze und meine Daten dazu verwendet werden, Algorithmen zu trainieren, die dann zum Töten von Menschen eingesetzt werden?

Lisa Ling: Sicherlich ist es möglich, sogar wahrscheinlich, dass alles, was von einem vernetzten Gerät an die Cloud gesendet wird, sei es eine Kredittransaktion oder eine Uber-Fahrt, letztendlich als Waffe eingesetzt werden könnte.

Aber das ist keine brandneue, hochentwickelte Technologie. Wir haben mittlerweile nur mehr Speicherplatz, mehr Rechenleistung, mehr Übertragungsmöglichkeiten. Grundsätzlich hat sich an der Technologie nicht viel geändert, außer dass Geschwindigkeit und Kapazität zugenommen haben.

Tech-Unternehmen und Waffenhersteller

Und immer mehr Tech-Unternehmen sind daran beteiligt, Waffensysteme zu entwickeln, aber sie werden nicht als Waffenhändler gesehen. Dabei trägt Microsoft ebenso zu Militärtechnologie bei wie Raytheon. Google ist genauso ein Militärdienstleister wie Anduril oder Boeing.

Es gibt dabei viel Geld zu verdienen. Unternehmen sind dazu da, Geld für ihre Aktionär*innen zu verdienen, nicht um Frieden zu schaffen. Krieg ist profitabel. Frieden ist es nicht.

Wie Edward Snowden sagte: Vielleicht müssen sich die Anreize ändern. Aber die Menschen an der Macht haben noch nicht den Willen, die Dinge zu ändern.

Max Freitag: Heißt das, dass die Kill Cloud genau so funktioniert, wie sie soll?

Lisa Ling: Sie funktioniert wie beabsichtigt. Es gibt Menschen, die wollen, dass sich was ändert. Viele von ihnen haben sich zu Wort gemeldet. Viele sind von ihren Posten im Außenministerium oder bei Google zurückgetreten.

Aber diejenigen, die die Infrastruktur besitzen, wie Amazon Web Services, Microsoft, Google oder die Risikokapitalgebenden, die Tech-Start-ups unterstützen, sind auch diejenigen, die jetzt die Waffen bauen.

Max Freitag: Trump ist wieder im Amt und hat sofort jede Menge Dekrete unterzeichnet, darunter eine Abschaffung der KI-Richtlinien. Er kündigte auch an, dass die USA sich wieder als „wachsende Nation“ betrachten sollten, die ihr Territorium ausdehnen. Was halten Sie davon?

Lisa Ling: Wieder eine wachsende Nation? Das hat sich im Grunde nie geändert. Wir müssen die rein parteipolitische Brille ablegen und verstehen, wer hier wirklich an der Macht ist und woher das Kapital kommt.

Folgen wir dem Geld, um das Problem an der Wurzel zu packen. Mir scheint, dass die Leute, die hier das Sagen haben, die Elon Musks dieser Welt sind. Wir müssen uns die Googles dieser Welt oder das Risikokapital, das sie finanziert, anschauen.

Alle reden davon, dass sich unsere Länder weiter nach rechts bewegen. Irgendwas hat uns dorthin gebracht, und vielleicht ist es an der Zeit, sich mit den Ursachen zu befassen, nicht mit den Symptomen.


Lisa Ling war als Technikerin im Drohnenprogramm der US Air Force tätig. Während ihrer militärischen Laufbahn wurde sie an verschiedenen Standorten eingesetzt, darunter im Hauptquartier des Distributed Common Ground System der Luftwaffe auf der Joint Base Langley-Eustis in Virginia, an einem Standort der Air National Guard in Kansas sowie in mehreren Auslandseinsätzen. Nach ihrem Militärdienst reiste sie nach Afghanistan, um sich aus erster Hand ein Bild von den Auswirkungen ihrer Einsätze zu machen. Seitdem bietet sie kritische Einblicke in die Vorgänge des US-Militär, besonders in Bezug auf Drohnenkriegsführung.

Im Rahmen ihrer Kollaboration mit dem Disruption Network Lab in Berlin hat sie 2021 das Konzept der Kill Cloud geprägt. Als Fellow des Disruption Institute veröffentlichte sie vor kurzem einen Artikel, in dem sie die Schwierigkeiten der Regulierbarkeit dieser Art der Kriegsführung darlegt.

Max Freitag ist studierter Philosoph und Journalist aus Berlin. Er interessiert sich für Innenpolitik, Ideologien, soziale Bewegungen und Überwachung. Manchmal wagt er sich zu seinen Wurzeln zurück, um über politische Theorie zu schreiben.

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6 Ergänzungen

  1. Wenn man entweder zynisch genug ist, oder in militärischen Kategorien denkt, dann funktioniert das Drohnenprogramm perfekt. „Collatoral damage“ wird akzeptiert als notwendiger und völlig akzeptabler Preis für unsere Sicherheit. Denn bezahlt wird er nicht von uns, sondern vom Feind.

    Der deutsche Oberst Klein, der sich in Afghanistan bedroht fühlte und alle Regeln brach, um über 100 Zivilisten mit Bomben zu ermorden, musste für seine Taten nichts ins Gefängnis, er wurde zum General befördert.

    Seien wir realistisch: Opfer sind völlig irrelevant und absolut akzeptabel. Ausser, sie gehören zu „uns“.

    Zur Illustration lese man die Berichte von Geiselfreilassung in Gaza heute durch und denke dabei an die 2.2 Millionen Palästinenser, denen man seit über einem Jahr Trinkwasser, Lebensmittel und medizinische Hilfe vorenthält.

    1. In Afghanistan gab es schon so Fragestellungen, und Timing mit begrenzten Resourcen. Unsere Antwort sollte eine stark verbesserte Aufklärung sein. Nicht unbedingt jetzt für Afghanistan, aber für dort, wo wir Felle im Spiel haben, also Europa inkl. Ukraine usw., Afrika, plus ein bischen extra, wo auch immer.

      Dann kann keiner kommen und sagen, „sah nach Kämpfern aus“, oder „wir dachten die Russen wollen nur spielen“, oder „Waren da etwa Panzer??“.

    1. Ein Teil ist hier, dass die Flugabwehr, sofern gestaffelt vorhanden, kein Problem mit dem Abschießen dieser Drohnen gehabt hätte, Detektion vermutlich auch nicht. Man will eigentlich nicht, so lange man nicht muss, und man darf es wohl auch nicht (ohne weiteres).

      Das nur am Rande. In der Fläche und bei der Polizei, und vor allem Hausbesitzern :‘), da hapert es gewaltig.

      1. Das im Problem im zivilen Umfeld ist immer, dass alles, was man hochschießt, auch irgendwo runterkommt. Und alles, was man nennenswert hoch schießen kann, hat relativ viel Reichweite und Energie.

        Ansonsten ist’s eine Frage der Zeit, bis selbst autonome/preprogrammed Drohnen ausser dem leisen und daher langsamen stealth Flug auch hinreichend zufällige Ausweichmuster mit Tempo können. Dann reicht eine Schrotflinte nicht mehr, und Sättigung größerer Bereiche mit zerstörender Munition generiert Kollateralschäden. Mal davon abgesehen, dass man so potente Waffen nicht außerhalb des Militärs haben will.

        Logische Entwicklung sind bewaffnete Abwehrdrohnen, trotzdem bleiben Kollateralschäden.

  2. Frage zum Artikel und deshalb auch zur Einordnung des Wahrheitsgehalts der Aussagen von Lisa Ling.
    Wie kann es sein, dass ein gesetztes Komma in einem Artikel einen Druckbefehl auslöst? Sollte das das ein expliziten Steuerzeichen gewesen sein? Wie steht es dann um die Glaubwürdigkeit der anderen Aussagen in diesem Artikel?

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